22.01.2021
Kennen Sie das? Da gehe ich in meinem fränkischen Lieblings-Wirtshaus auf die Toilette und erleide einen Schock. Einen Geruchsschock. Nicht, was Sie jetzt denken. Es wabert mir eine undefinierbare, chemische Wolke entgegen. Ganz offensichtlich synthetisch, eklig süß und eindeutig überdosiert. Viel hilft viel. Ich halte die Luft an und suche schleunigst den Ausgang. Zurück in der mit Naturholz getäfelten Gaststube und das hausgebraute Bier schlürfend, zwickt mich dieser penetrante Chemiemief immer noch in der Nase. Ein ungebetener Gast, der schwer loszuwerden ist.
Ballermann-Effekt
Solche oder ähnliche Situationen erlebe ich seit Jahren immer häufiger, ganz egal ob im oberfränkischen Provinzwirtshaus, der Wiener Edelhotel-Lobby oder einer Dubaier Shopping Mall. Künstliche Gerüche sind heute omnipräsent. Überall, vom Waschmittel bis hin zur Bankzentrale treffe ich diese „falschen Freunde“ aus dem Labor. Sie sollen mir guttun, mich einlullen und zum Verweilen und Einkaufen animieren. Die Verkaufsprofis spielen mit meinem Geruchsgedächtnis und setzen sich mit ihren Fantasiedüften darin fest. Es sind echte Künstler, denn sie kreieren Aromen, die Produkte, Orte, Dienstleistungen unverwechselbar machen. Diese olfaktorische Manipulation soll dabei möglichst „unterschwellig“ vor sich gehen. Von wegen unterschwellig. Ich bin überdosiert. Und im Fluchtmodus.
Zweifelsfrei stehen im WC des Dorfwirtshauses oder der Stadtbibliothek Fragen der Kundenbindung nicht im Vordergrund. Hier geht es eher um Verfügbarkeit und Preis. Wenn der Discounter mal wieder „Duftöle“ für Toilette, Bad und Kinderzimmer verramscht, fällt die Entscheidung leicht. „Es soll ja gut riechen“. Hinter beidem, dem olfaktorischen Discounterschnäppchen und dem Duftmarketing-Ballermann steht dieselbe Haltung: Frischluft ist keine Option. Ihr Ersatz soll einfach in der Anwendung sein und nicht mit permanentem „Betreuungsaufwand“ nerven. Low Maintenance. Und es muss billig sein. Low Budget.
Häkeln für den Nasenfrieden
Das nervt mich. Weil ich mich diesem Duftdiktat nicht entziehen kann. Ich kann meine Nase nun mal nicht verschließen. Und so bleibt mir, mich damit abzufinden – oder fernzubleiben. Der öffentliche Bereich ist von der Geruchsindustrie bereits erobert. Im Haushalt riecht es ganz ähnlich wie im Wirtshaus-WC. Ich bin schon lange dazu übergegangen, geruchsneutrales Waschmittel selbst herzustellen und mit duftneutraler Seife zu duschen. Seit ich kürzlich aus Versehen eine Packung parfümierter (!) Spültücher gekauft habe, die beim Öffnen wie eine Chemiefabrik rochen, habe ich zu häkeln begonnen. Jetzt liegt ein marineblauer Spüllappen im Waffelmuster neben meinem Waschbecken. Eine Erlösung. Und eine Augenweide. Früher mochte ich Pril, weil es mich an meine Kindheit erinnerte. Das mit den bunten Blumen, die ich auf die Küchenkacheln kleben durfte. Damit war’s aus als der Hersteller vor einigen Jahren die Duftrezeptur änderte. Jetzt benutze ich neutrales Bio-Spülmittel und suche mir meine Kindheitserinnerungen woanders.
Die Nase voll
Heutzutage muss alles nach etwas riechen. Warum? Diese permanente Konfrontation mit Gerüchen, seien sie natürlichen oder synthetischen Ursprungs, ist ein Trigger. Er hält nicht nur meine Nase und mein Geruchsgedächtnis auf Trab, sondern meinen gesamten Organismus. Dauernd will was verarbeitet werden. Ich dagegen empfinde es als Wohltat, mal nichts in der Nase zu haben. Und mich, wenn ich Lust auf Duft habe, mit Naturaromen zu umgeben. Vor einigen Jahren hatte mir mein Mann ein wundervolles, kostbares Parfum geschenkt, das ich liebte. Und noch lieben würde, würde es nicht meine Haut, meinen Schrank und den Raum noch Stunden und Tage danach mit seiner Präsenz „erfreuen“. Da hört‘s bei mir auf.
Für meine Umgebung bevorzuge ich selbst gemachte Raumsprays oder japanische Räucherstäbchen. Die verfliegen oder sind irgendwann runter gebrannt. Duftlampen neige ich zu vergessen – sie fallen mir erst wieder ein, wenn es zu spät ist, d.h. wenn ich Kopfschmerzen kriege oder mir übel wird. Ich stelle mich doch auch nicht 24 Stunden vor den Kühlschrank und stopfe pausenlos alles in mich rein.
Schlechte Nachrichten
Synthetische oder „naturidentische“ Duftstoffe bringen nur schlechte Nachrichten mit sich. Man weiß mittlerweile, dass sie Allergien, Asthma, Atemwegserkrankungen verursachen und das Erbgut verändern können. Forschungen bestätigen eine Schwächung des Hormonhaushaltes und des Immunsystems. Von ihren krebserregenden Eigenschaften, die bei Tierversuchen beobachtet werden konnten, ganz zu schweigen.
Kein Wunder also, dass einige Menschen angesichts dieses modernen Geruchsgefängnisses dicht machen, gar nichts mehr riechen wollen und sich jeglichen Duft verbitten, auch den natürlichen.
Duftminimalismus ist Entschleunigung
Kurz und gut: ich bin ein großer Fan, naturreine Aromen nach Bedarf und Gusto punktuell zu genießen. „Was brauche ich jetzt?“ frage ich mich, wenn ich vor meinen Schatzkästchen stehe, die all die wundervollen Essenzen von Petit Grain bis Patchouli enthalten.
Duftminimalismus ist der Weg aus der Überforderung.
Weniger Konsum bringt mehr Genuss.
Bewusste Verwendung bringt Entschleunigung.
Zeitlich begrenzter Einsatz ist Meditation.
Wenn ich ein Naturparfum kreiere freue ich mich an diesem Moment und auch darüber, dass es irgendwann verflogen, aufgesogen, von meinem Organismus verarbeitet ist. Ich will meine indische Duftmischung vom Vorabend nicht am nächsten Morgen am Schreibtisch in der Nase haben.
Und dann ist da noch die Tarnkappenfunktion: ParfumträgerInnen verkleiden sich mit synthetischen Düften, verstecken sich hinter einem „So will ich sein“-Duftmantel. Am Ende riechen alle gleich.
Will ich das? Ganz sicher nicht. Lieber lasse ich naturreine Aromen sprechen. Die sind einzigartig, unverwechselbar und individuell.
Indien!
Ein Duft, den ich immer sehr genieße, wenn mich das Fernweh nach exotischen Gefilden und flirrender Hitze überkommt:
mein Indien!-Parfum, das ich im Rahmen einer Reise in diesen Subkontinent entwickelt habe.
50 ml Korn oder Wodka
5 Tr. Tulsi
3 Tr. Schwarzer Pfeffer
3 Tr. Ingwer
2 Tr. Champaca
2 Tr. Lemongrass
Mischen Sie alle Zutaten und lassen Sie dieses Seelenparfum einige Tage reifen. Suchen Sie sich ein stilles Plätzchen und sprühen Sie den Duft um Kopf und Oberkörper oder geben Sie ein paar Sprühstoße auf die Innenseite Ihrer Unterarme. Atmen Sie tief durch und genießen Sie einen Moment lang bei geschlossenen Augen.
Dieses Rezept ist im Mai-Kapitel meines Buches Mein duftes Jahr enthalten.
Admin - 18:10 @ Allgemein, Buch, Persönlich, Ätherische Öle
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